Die Sache mit dem Glück

"Folge dem Glück und lasse es wachsen und gedeihen. Sei so, wie du sein willst. Erklimme nicht die Leiter des Erfolgs, nur um hinterher festzustellen, dass sie an der falschen Mauer lehnt. Das Leben ist voller Herausforderungen. Nutze diese, und geh deinen Weg."
(Dr. med. Bernie S. Siegel)

Was ist das eigentlich, das Glück? Wo finden wir es und was macht uns glücklich? Zu unseren Geburtstagen wünschen wir uns viel Glück und Gesundheit. Eine Anleitung liegt meist nicht dabei, wie dies gelingen möge. Wie wir uns körperlich gesund halten, ist uns inzwischen einigermaßen klar. Wobei das mit der Bewegung, Ernährung und vor allem dem Vermeiden von ungesundem Stress ja auch nicht ganz so einfach zu sein scheint. Vor allem der Stress, der ja gefühlt überall lauert, ist schwer zu besiegen. Aber müssen wir das? Den Stress besiegen? „Ich bin gerade im Stress!“ Wohl einer der meist gesagten Sätze.

Da ist der Chef, dem man es nie recht machen kann, die Kollegin, die uns mobbt, zu Hause nerven entweder die Kinder oder die Post mit unbezahlten Rechnungen. In all den Alltagsbelangen bekommt der Gedanke daran, dass das Glück so wichtig ist, fast schon absurde Züge. Oder doch nicht? In einer kleinen Minute zwischen schnellem Kaffee und Ablage aufräumen lesen wir in einer dieser netten bunten Zeitschriften, man solle sich kleine Auszeiten nehmen und etwas für sich tun, das mache glücklich. Gelesen, getan! An einem der seltenen freien Tage ziehen wir los ins Städtchen, um uns Zeit zu nehmen für uns – und finden uns überfordert zwischen zahllosen Geschäften und Menschenmengen wieder. Gut, seit Corona ist es hier und da etwas leerer, dafür nicht weniger stressig durch die Stimmung der Menschen, von denen zumindest einige vermutlich auch nur ins Städtchen wollten, um sich mal etwas Gutes zu tun. Und doch keine Spur von Glück in den Gesichtern all derer, die angespannt durch die Gassen ziehen. Mit vollen Einkaufstaschen und etwas erschöpft kommen wir heim, stellen die Tüten beiseite, ohne sie eines weiteren Blickes zu würdigen. Wir fallen aufs Sofa, um gleich darauf neben uns zu greifen – nach den Rechnungen, die ja noch bezahlt werden müssen. Beim Aufklappen des Rechners für das Bankingprogramm pingt es unaufhörlich. Die neuen Emails, die heute noch bearbeitet werden müssen.
Glücksendorphine sind sicher irgendwo auf dieser Welt, bei uns – in diesen Momenten ganz bestimmt nicht.

Was auch sehr glücklich machen soll, ist das Laufen. In nicht wenigen Ratgebern und Blogs steht, dass es gut ist gegen Stress, und dass es glücklich macht. Da sind sie, die Endorphine, bei den Läufern! Die Menschen, mit denen ich beruflich zu tun habe, haben wahrlich herausfordernde Aufgaben, in diesen Tagen mehr denn je. Sie haben es hier und da gehört: „Laufen ist gut gegen Stress!“ Ist es. Ja. Aber nicht mit der Ambition, sofort in ein Hochleistungstraining einzusteigen mit allerlei professioneller Unterstützung à la Pulsuhr, EKG, Spezialausrüstung und volle Kraft voraus. Möglicherweise schwirrt im Kopf ja schon der Plan und das ehrgeizige Ziel, den nächsten (ja, den nächsten – nicht den übernächsten!) Marathon zu laufen, in herausragender Zeit versteht sich. Alles darunter wäre inakzeptabel. 
Die Endorphine haben auch hier ihr Päckchen gepackt und sind weitergezogen, nur wohin?

Glück im Unglück

Seit November 2018 lebe ich ja nun in meinem neuen Leben. Und in der Tat ist vieles neu, allem voran die Tatsache, dass so einige Ärzte mich nun ständig begleiten. Das wird nun auch zur Routine, die irgendwie einfach dazugehört. Mein Ärtzeteam ist nicht nur kompetent, sondern auch menschlich einfach wunderbar. Wir sind zusammengewachsen, und ich weiß zu schätzen, was sie für mich tun. Inzwischen ist es ein Miteinander der Fragen und Antworten, sowie der Entscheidungen, die gemeinsam getroffen werden. Nichts wird verodnet und unreflektiert hingenommen. Es wird beraten und abgewogen, was bei der Krabbe sehr wichtig ist, denn es gibt niemals ein klares “Richtig” und eine Garantie auf Erfolg. Es gibt immer nur ein “Es ist eine Möglichkeit A oder B, die es abzuwägen gilt”. So habe ich nicht alle Therapieoptionen einfach angenommen sondern selbst entschieden, gekürzt oder verändert, besprochen und schließlich eine gute Mitte zwischen Kopf und Bauch bei allen Entscheidungen gefunden.

Ich habe viel gelernt durch die Krabbe, diese Krankheit, die wohl für jeden, der davon hört, ein Schreckgespenst ist. Sie ist da, und sie lässt mich nach all den Erstlinien-Therapien – so heißt die erste Stufe, die man durchläuft nach der Diagnose, weitestgehend in Ruhe. Ich habe eine ganz große Portion Glück im Unglück, sozusagen. Und das schätze ich jeden Tag sehr. Mit jedem Tag lerne ich, was mich wirklich glücklich macht, und ich habe entschieden, mich genau damit mehr zu beschäftigen, das Glück zu ergründen. Es macht mir Freude, denn was kann wichtiger sein, als die Zeit, die wir in unserem Leben haben, zu nutzen und glücklich zu sein? Die Krabbe, sie bekommt so viel Aufmerksamkeit wie nötig und so wenig wie möglich. Das ist erst einmal die wichtigste Erkenntnis für ich mich. Ich mag durch sie lernen, in die allererste Reihe meiner Aufmerksamkeit kommt sie nicht.

Der Gedanke daran, wieviel Zeit ich habe, bestenfalls dafür, glücklich zu sein, der schleicht sich doch ab und an ein. Zeit wird wertvoller, sie vergeht schnell und letztlich ist sie für jeden von uns endlich – irgendwann. Daher: Wollen wir wirklich Chancen vergeben oder die falschen Dinge tun? Wieder und wieder ohne weiter nachzudenken ins Städtchen ziehen oder wie wild losrennen, ohne nachzudenken, ob es uns wirklich gut tut? Wie oft hadern wir, sind unzufrieden mit diesem oder jenem. Im schlimmsten Fall sagen wir uns irgendwann: „Ich war eigentlich nie so richtig glücklich.“ Dumme Sache! Ob nun mit verirrten Zellen irgendwo im Körper oder ohne. Das Glück zu verpassen, ist wie die eigene Lebenszeit zu ermorden. Die Einsicht fehlt nur oft, dass man einfach keine Zeit hat für´s Unglücklichsein.

Zeit für Glück

Gestern gab es das Ergebnis meines aktuellen Stagings, so heißen die Verlaufskontrollen, die überprüfen, ob alles ok ist oder ob sich möglicherweise neue Metastasen gebildet haben. Es hat gezeigt, dass die Krabbe ruht, mal mutig angenommen, ist sie vielleicht sogar ausgezogen. Ich habe wieder Zeit geschenkt bekommen! Wie wunderbar! Für mich ist das so unfassbar viel Glück, dass man es kaum in Worte fassen kann. So ist denn auch der Impuls, sofort loszulegen und ebenso unfassbar viele Dinge zu tun, entsprechend groß. Schreiben, Vorträge halten, arbeiten, Projekte planen, was auch immer alles getan werden kann, schwirrt durch meinen Kopf.

Genau da halte ich nun ein großes STOP-Schild hoch. Ich nehme mir meine Hunde, gehe in den Wald und atme sehr tief ein und aus. Genau das ist Glück! Das ist, was ich brauche. Ruhe, Freude beim Zuschauen, wie meine Hunde einfach fröhlich sind, sich über das bunte Herbstlaub hermachen, sich gegenseitig Stöckchen zuwerfen und ihr Sein im Jetzt genießen. Darin sind sie wahrlich Meister – und Vorbild! Ich setze mich auf eine Bank, schließe die Augen und halte mein Gesicht in die Sonne an diesem strahlenden Tag, an dem die Luft zwar noch warm ist, aber schon ein wenig nach kalter Jahreszeit riecht. Mir kommen neue Gedanken, die reifen dürfen, gerade in diesen Zeiten, die für uns alle wohl arg herausfordernd sind. Das Virus, all die Veränderungen in der Welt, die Schnelligkeit, die Unruhe. Überall ruckelt es auf unserem Planeten. Es gibt viel zu tun. Und doch habe ich gelernt, dass Innehalten gar nichts damit zu tun hat, träger zu werden – wohl aber ehrlicher zu sein zu mir selbst. Gedanken dürfen zu Ende gedacht werden, und möglicherweise werden sie ohne Bedauern verworfen. Nur so reifen Ideen, die dieses Kribbeln erzeugen, und die Lust darauf, sie auszuprobieren.

Endlich habe ich auch eine wichtige Entscheidung getroffen. Ich habe meine Selbstbetrugsmonster rausgeworfen. Hm. Selbstbetrugsmonster? Ich bin sicher, Ihr kennt sie alle. Sie sind dann aktiv, wenn wir nicht ehrlich sind zu uns selbst und Dinge tun, die sich tief in unserem Inneren nicht richtig anfühlen. Vielleicht passen sie gar nicht zu uns. Dann tun wir schlicht das Falsche, und wir sollten uns fragen, warum wir es tun. Vielleicht tun wir aber auch zu wenig von dem, was wir eigentlich tun wollen. Und zu viel von dem, was wir so gut können oder einfach gewohnt sind. Bei mir war es meine Arbeit. Ich mag sie, auch weiterhin, nur war die Dosis einfach zu hoch. Der Selbstbetrug war der Erfolg, der mich darin bestätigt hatte, immer mehr zu tun. Doch dazu schreibe ich mehr in meinen 8 Gedankenschubsern zum Glück, die ich Schritt für Schritt aufgeschrieben habe, und die meine „Leitplanken“ sind in meinem neuen Leben. Ich habe es bekommen mit dem krachenden Hinweis darauf, dass doch diese Zellen, die nicht mehr mitspielen wollten, reichen mögen, mich verstehen zu lassen.

Schlimme Zeiten?

Wir alle können uns die Zeit, in der wir leben, nicht aussuchen. Sie ist einfach da, mit all ihren Aufgaben. Ich möchte ermutigen, nicht hektisch das Glück zu suchen, sondern einmal einen Schritt zurück zu treten und zur Ruhe zu kommen. Mir ist dies vor der Krabbe immer schwer gefallen. Ruhe? Fehlanzeige. Ich musste omnipräsent sein, durfte nicht nein sagen – und hatte dadurch letztendlich oft den falschen Kurs eingeschlagen, da die Selbstbetrugsmonster mich immer wieder genau auf diesen gelenkt haben. Es muss nicht erst eine schwere Krankheit, ein Unfall, ein schlimmer Verlust oder eine Lebenskatastrophe einen Kurswechsel bringen. Sollte dies aber passieren, dann ist dies immer auch ein Anfang von etwas Neuem. Denn wir haben schlicht keine Garantie darauf, unversehrt durchs Leben zu navigieren – selbstverständlich immer auf richtigem Kurs. Wir können uns den Umleitungen, die das Leben manchmal nimmt, stellen oder wir verzweifeln daran. Stellen wir uns ihnen, wachsen wir oft daran. Das kann ich selbst bestätigen. Denn – bei allen Schmerzen und in oft unvermeidlichen Krisen oder Ängsten, die die Krabbe im Gepäck hat – ohne sie wäre ich heute nicht da, wo ich bin und nicht die, die ich bin. Ich habe Zeit gebraucht, habe mich allem gestellt. Immer wieder, es war nicht immer einfach, es gab Rückschläge, aber auch immer wieder Fortschritte. Langsam wurde vieles klarer, und mir wurde bewusst, dass ich sie rausschmeissen darf, die Selbstbetrugsmonster. Ich kann heute tief aus meinem Herzen heraus sagen: Ich bin glücklich!

Die 8 Gedankenschubser zum Glück, die mir dabei geholfen haben, als Impulse demnächst hier, falls Ihr mögt.